"Stummer Frühling": Es gibt immer weniger Insekten

#1 von ConnyHH , 02.08.2017 17:36

Rückgang

"Stummer Frühling": Es gibt immer weniger Insekten
von Annett Stein / 31.07.2017, 11:02 Uhr

Zitat
Über den Rückgang von Insekten in Deutschland gibt es nur wenige konkrete Daten. Aber die Folgen könnten verheerend für die Natur sein.

Insekten, die unter Denkmalschutz stehen. So weit ist es schon gekommen mit dem Insektenschwund? Es gibt sie tatsächlich, bundesweit wohl einmalig. "Unsere Sammlungen sind als bewegliches Denkmal eingestuft", sagt Martin Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld in Nordrhein-Westfalen.

In Tausenden Flaschen und Glasröhrchen lagern in einem früheren Schulgebäude in Alkohol eingelegte Insekten, seit 1905 gesammelt von Mitgliedern. Hinzu kommen Arbeitsgeräte und Büchersätze. "Die Sammlung hat nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch kulturhistorischen Wert, daher der Denkmalschutz."

Der Fundus der Krefelder Entomologen ist derzeit bundesweit in den Blickpunkt gerückt. Unter dem Titel "Wo sind nur all die Insekten hin?" bezog sich das Fachmagazin "Science" auf Untersuchungen des Krefelder Vereins aus dem Jahr 2013, wonach die Zahl der Fluginsekten in einem Naturschutzgebiet seit 1989 um bis zu 80 Prozent zurückgegangen ist. Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) nutzte – nach einer Anfrage der Grünen – die Zahl, um vor einem "verheerenden Insektensterben" in Deutschland zu warnen. Sie forderte einen Kurswechsel in der Landwirtschaftspolitik, um den Rückgang zu stoppen.

Bis zu 80 Prozent weniger Insekten

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" titelte sogar: "Schleichende Katastrophe: Bis zu 80 Prozent weniger Insekten in Deutschland". Doch wie belastbar sind eigentlich die Zahlen der Krefelder? Und welche Bedeutung haben sie über die Untersuchungsgebiete hinaus? Für Insektenforscher Axel Ssymank vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) steht fest: "Diese Sammlung ist einmalig für die Bundesrepublik." Sie reiche nicht nur Jahrzehnte zurück, sondern sei stets mit dem gleichen Fallentyp nach der gleichen Methodik zusammengetragen. "Wir können für weit über 100 Standorte 30 Jahre zurückgehen."

Ähnliche Langzeitreihen suche man in Deutschland vergeblich, betont auch Wolfgang Wägele vom Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koe­nig in Bonn. "An keinem Institut oder Forschungszentrum wurde das gemacht. Ein 30 Jahre währendes Projekt – das kann sich einfach keine Universität finanziell erlauben." Für ein Teleskop hingegen werde schnell mal eine Milliarde Euro ausgegeben. "Wir kriegen Daten vom Rand des Universums, aber keiner dreht das Ding mal um und guckt, was hier auf der Erde passiert."

Viele nehmen den Schwund nicht wahr

Viele Fakten über den Insektenschwund sind darum gefühlt: Früher war die Windschutzscheibe des Autos nach jeder Fahrt im Sommer verklebt von Insekten – heute kaum mehr. Am Sommerflieder tummelten sich Tausende Bienen, Hummeln und Schwebfliegen – heute haben etliche Kinder noch nie eine Schwebfliege gesehen. Lag man früher bei offenem Fenster mit Licht im Bett, kreisten Dutzende Motten um die Lampe – heute oft keine einzige. Viele Menschen nehmen den Schwund nicht wahr. Da greift das sogenannte Shifting-Baseline-Syndrom: Der Mensch ist nur eingeschränkt fähig, Wandel zu bemerken, weil sich seine Referenzpunkte verschieben.

Ein alter Mensch mag sich noch an Schwärme von Schmetterlingen erinnern, für einen jüngeren aber ist der Mangel zum Normalwert geworden, an dem er sich orientiert. Das Fatale: Wer Wandel nicht bemerkt, erachtet es kaum als dringlich, etwas zu unternehmen. Umso wichtiger sind konkrete Zahlen. In den Fallen der Krefelder Forscher werden fliegende Insekten gefangen und später in Alkohol konserviert. Von etwa April bis Oktober werden sie alle ein bis zwei Wochen geleert. An über 200 Standorten seien Insekten über lange Zeiträume und über die gesamte Vegetationsphase gesammelt worden, sagt Biologe Sorg.

Deprimierende Ergebnisse

"Überwiegend im Rheinland, aber auch in anderen Regionen Deutschlands und Europas." BfN-Experte Ssymank wertet derzeit einen Teil der Insektenfunde aus. Sein Zwischenfazit: "Es gibt starke Rückgänge, dieser Trend ist eindeutig." Für die Erhebungen von 1989 bis 2014 wurden weiße Fangzelte – sogenannte Malaisefallen, benannt nach dem schwedischen Insektenkundler René Malaise – aufgestellt. Die Arten der darin gesammelten Fluginsekten wurden bestimmt und die Masse aller Tiere gewogen.

Die Ergebnisse sind deprimierend, wie zwei Beispiele zeigen: Im Wahnbachtal im Bergischen Land südöstlich von Köln wurden über die Saison in sechs Fallen 1989 noch 17.291 Schwebfliegen 140 verschiedener Arten gefangen. Im Jahr 2014 waren es 2732 Tiere von 103 Arten. Die Artenvielfalt sei um 30 bis 70 Prozent zurückgegangen, die Zahl gefangener Schwebfliegen um 80 bis 90 Prozent, sagt Ssymank. Dass die Fallen – wie 70 Prozent der Sammelstellen – in einem Schutzgebiet lägen, mache das Ergebnis umso schlimmer. Eine Analyse aus dem Orbroicher Bruch bei Krefeld zeigt, dass die Masse flugaktiver Insekten zwischen 1989 und 2013 dort um fast 80 Prozent zurückging.

Biologen hatten einen "stummen Frühling" vorhergesagt

"Wenn du ein insektenfressender Vogel bist, der in diesem Gebiet lebt, sind vier Fünftel deines Futters weg binnen eines Vierteljahrhunderts", erklärte der britische Insektenforscher Dave Goulson in der "Science". Auch andere Untersuchungen haben schon auf einen bedrohlichen Insektenschwund hingewiesen.

Biologen unterschiedlicher Forschungseinrichtungen hatten schon vor Monaten einen "stummen Frühling" vorhergesagt. Davon betroffen seien vor allem Wildbienen, die bereits auf der Roten Liste der bedrohten Arten stehen. In einigen Gegenden sei der Bestand um bis zu 75 Prozent zurückgegangen, formulierten sie in einer Resolution an das Bundesumweltministerium.

Sie befürchten: Wenn sich der Trend fortsetzt, sind die bedrohten Wildbienen-Arten bereits in "weniger als zehn Jahren" ausgestorben. Forscher und Umweltschützer sehen die Intensivierung der Landwirtschaft als Hauptursache für den Insektenschwund. Den Krefelder Daten zufolge sind offene Landschaften stärker betroffen als Wälder, Täler stärker als Bergregionen. Ssymank schätzt, dass es Insekten an Lebensraum fehlt: Ackerflächen reichen heute oft bis an Straßen, es gibt kaum bunt bewachsene Randstreifen, die Felder sind riesig, es überwiegen Monokulturen.

Weibliche Nachkommen entwickelten Missbildungen

Hinzu käme der Einsatz hochwirksamer Pestizide, mit denen das Saatgut heute schon von vornherein präpariert ist. Pflanzenschutzmittel wie Neonicotinoide wirkten wie eine Droge auf Bienen, die dann etwa ihren Stock nicht mehr finden. Wie Biologen der Universität Bielefeld kürzlich bei Blattkäfern festgestellt haben, hemmt schon eine winzige Pestizid-Dosis deren Fortpflanzung – sie legen gut 35 Prozent weniger Eier, weibliche Nachkommen entwickelten Missbildungen. Die Forschungsergebnisse sind alarmierend. Denn was der Mensch oft zu den Plagegeistern zählt, ist für das Ökosystem wichtig – und am Ende auch für die Lebensmittelproduktion.

70 Prozent aller Nahrungspflanzen seien darauf angewiesen, dass ein Tier sie bestäubt, darunter fast alle Obst- und Gemüsesorten, sagt Ssymank. Für viele Vogelarten seien Fluginsekten lebenswichtig. Die herbstlichen Laubberge in Wäldern würden zum großen Teil von Insekten abgebaut. Die Reinhaltung von Gewässern hänge maßgeblich von Insektenlarven ab. Viele mögliche Folgen ließen sich aber noch nicht erahnen. "Das wirklich Erschreckende ist, dass wir so wenig wissen", betont Sorg. Es könne sein, dass sich mit dem leisen Sterben der Insekten eine Katastrophe anbahnt.

© Berliner Morgenpost 2017 – Alle Rechte vorbehalten.



Quelle vom Bericht:
https://m.morgenpost.de/ratgeber/article...time=1501496248



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